Von Historiker:innen und Archivar:innen
Ein Plädoyer für die Archivarbeit

Auf Workshops und Archiv-Veranstaltungen stelle ich immer wieder ernüchternd fest wie gross die Diskrepanz zwischen Historiker:innen (im Folgenden allgemeiner gefasst als Forschende oder Wissenschaftler:innen) und Archivar:innen ist, gerade wenn es um den Zugang zu Akten geht. Archivar:innen werden z.T. mit einem zynischen Unterton als Verwalter:innen deklassiert, Wissenschaftler:innen zuweilen für ihre Unkenntnis im Umgang mit Archivgut belächelt. Beides hat Gründe, die nicht bei Einzelpersonen zu suchen sind, sondern – phänomenologisch gesprochen – anhand der Bedingungen und Möglichkeiten der Archivarbeit und des komplexen Machtgefüges innerhalb und ausserhalb des Archivs, insbesondere zwischen Archivar:innen und Wissenschaftler:innen, betrachtet werden muss. "Mächte" deshalb, weil beide (Archivare und Forschende) Aufgaben erfüllen, die für die Wirksamkeit von Archiven unerlässlich sind. Dieses Machtgefüge zu beschreiben, wäre für einen Blogartikel ausufernd. Ich erlaube mir daher an dieser Stelle einen Hinweis auf meine Dissertationsarbeit "Im Erfahrungsraum des Archivs. Hans Mayer: Ein Nachlass auf Widerruf" (2023), in der ich mich im theoretischen Teil mit genau dieser Frage nach den Machtverhältnissen im Archiv beschäftige.
Wichtig erscheint mir, dass es neben Archivar:innen und Forscher:innen zahlreiche andere Akteur:innen gibt, die das Archiv als solches bestimmen. Sie alle übernehmen wichtige Funktionen, können sich aber auch gegenseitig begrenzen.
Doch zurück zu den beiden, für mein Verständnis, wichtigsten Akteur:innen: Archivar:innen und Forschende. Es stimmt: Archivar:innen sind als Vertreter:innen von Archiven auch deren Verwalter:innen – und das ist auch gut so. Sie verwalten Archivgut, bewahren dieses und sorgen für Zugänglichkeit zu Akten – gleichzeitig auch für deren Schutz, was bedingt, dass manche Akten bis zu einem gewissen Zeitpunkt unter Verschluss stehen. Meiner Erfahrung nach wird jedoch niemand Archivar:in, um Akten dauerhaft unter Verschluss zu halten. Im Gegenteil – im Grundsatz geht es sowohl der Wissenschaft als auch Archivar:innen um Transparenz und Zugänglichkeit. Dabei sollte das Archiv gemäss ethischen Grundsätzen neutral und unparteiisch sein. Bei Fragen des Zugangs (der Genehmigung oder Ablehnung von Einsichtsgesuchen) gilt das Prinzip der Gleichbehandlung.
Neben der Aufgabe Zugang zu Dokumenten zu gewährleisten, bietet das Archiv, wie schon gesagt, auch Schutz. Für bestimmte Akten, gibt es darum Schutz- oder Sperrfristen, die gesetzlich durch Archivgesetze geregelt sind. An dieser Stelle sind verschiedene Fragestellungen nützlich: In welchem politischen Klima sind Archivgesetze entstanden? Wie würden diese heute, angesichts des – vorsichtig ausgedrückt – politisch restriktiveren Klimas, aussehen? Wie sieht dies in anderen Ländern aus? Diese Fragen sind komplex und können an dieser Stelle kaum beantwortet werden. Ein Blick auf genau jene Fragestellungen scheint mir jedoch lohnenswert - vor allem von Forschungsseite. Daneben ist zu berücksichtigen, dass Informationen aus einmal zugänglichen Akten im Grunde nicht mehr kontrollierbar sind – im Gegensatz zu solchen, die (mitunter berechtigterweise) für einen gewissen Zeitraum unter Verschluss stehen oder zunächst nur in Teilen, respektive mit Schwärzungen, herausgegeben werden. Natürlich müssen Forschende - oder allgemeiner Benutzende - bei Veröffentlichung Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte einhalten, was aber mit einmal zugänglichen Akten passiert, kann das Archiv letztlich nicht mehr kontrollieren. Es liegt also zu einem grossen Teil in der Verantwortung der Benutzenden was mit zugänglichen Akten passiert. Das ist kein Plädoyer für Verschluss. Und auch nicht eines dafür Schutz- oder Sperrfristen unhinterfragt zu lassen. In einem derart von Polarisierung und Populismus geprägten politischen Klima wie es derzeit nahezu weltweit herrscht, muss jedoch auch die Wissenschaft an ihre Aufgabe erinnert werden genau dem mit seriöser Forschung entgegenzuwirken.
Ein erster wichtiger Schritt hierfür wäre aus meiner Sicht die Förderung von Lehrveranstaltungen an Universitäten zu Archivthemen. Das Wissen um die Aufgaben und die Arbeit von Archiven und deren Vertreter:innen (Archivar:innen) kann meines Erachtens Vertrauen fördern – auf beiden Seiten. Es ist an der Zeit gerade dieses Vertrauen, sowohl in die Archivarbeit als auch in die Forschung, zu fördern, respektive wiederzugewinnen. Dies ist dringend nötig, auch, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Die vielfach gepredigte Annahme, dass Archive wichtig für unsere Demokratie und den Rechtsstaat sind, darf eben gerade das nicht werden - eine blosse Annahme, die zu einer Floskel verkommt.
Ich halte dies für eine Antwort (von sicherlich vielen möglichen) und gewissermassen auch für eine Form des Widerstands gegen Populismus und Polarisierung. Aus diesem Grund plane ich ab ca. Frühjahr/Mitte 2025 Workshops für Studierende - insbesondere für Geisteswissenschaftler:innen, die sich für die Archivarbeit interessieren, dies aber an der Uni (noch) zu wenig vermittelt bekommen. Wie dies genau aussehen wird, ist noch in Planung und wird in den kommenden Wochen und Monaten konkretisiert. Mit dem Archivmagazin archive.news biete ich Studierenden zusätzlich eine Plattform erste Publikationserfahrungen zu machen. Mehr dazu hier.
Wenn du Lust hast einen Workshop mit mir zu organisieren (als Archivar:in oder auch als Wissenschaftler:in), melde dich gerne bei mir unter contact. Ich freue mich über Ideen und den Austausch.
Text: © A. Bendel, November 2024
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