Deutsche Nationalbibliothek archiviert Twitter. Gedanken zur Archivierung digitaler Inhalte

Am 23. Februar 2023 gab die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) auf verschiedenen Plattformen die geplante umfassende Archivierung des deutschsprachigen Twitter bekannt. Rund vier Milliarden Tweets sind laut der DNB veröffentlicht worden. Weil Twitter für die DNB als Publikation gilt, hat sie auch den Auftrag diese zu sichern. Britta Woldering führt dies in einem Interview im Deutschlandfunk aus: „Wir als Nationalbibliothek haben den Auftrag alles zu sammeln und zu archivieren, für die Ewigkeit zu erhalten was in Deutschland publiziert wird und Twitter ist durchaus Teil des hybriden Mediensystems in Deutschland und fällt somit aus unserer Sicht auch in unseren Sammelauftrag.“ (Dlf Kultur) Die Umsetzung des Projekts einer umfassenden Twitter-Archivierung ist aus dieser Hinsicht nur folgerichtig.
Vielen von uns erscheint dieses Vorhaben dennoch zunächst irrational. Soziale Medien erscheinen kurzlebig, trivial und auf lange Sicht gesehen wenig bedeutsam. Viele fragen sich also, warum eine Archivierung fast des gesamten deutschsprachigen Twitter sinnvoll sein soll. So trivial uns Twitter auch erscheinen mag, es ist ein Ort, an dem politische, gesellschaftliche und soziale Entwicklungen dokumentiert werden. Das alles ist aussagekräftig für eine Gesellschaft und allein deshalb archivierungswürdig. Auch dient Twitter als Forschungsquelle für ganz unterschiedliche Disziplinen. Auf der Website der DNB heisst es: „Twitter und das Twitter-Archiv sind für viele wissenschaftliche Disziplinen eine wichtige Forschungsquelle. Mit der Übernahme von Twitter durch ein Investorenkonsortium um Elon Musk ist die Plattform in Turbulenzen geraten. […] Aufgrund dieser Entwicklungen erscheint der wissenschaftliche Zugriff auf das Twitter-Archiv zunehmend unsicher.“ (DNB) Die Entwicklungen seit dem Herbst 2022 zeigen, dass viele Menschen Twitter, verständlicherweise, verlassen. Aus den eben dargelegten Gründen erscheint es daher nur umso dringlicher „wenigstens einen Teil des Twitter-Archivs zu sichern und zu bewahren.“ (DNB) Wie die Umsetzung dieses Projekts funktionieren soll, erklärt die DNB weiter auf ihrer Website. Private Unterstützung ist für die erfolgreiche Umsetzung dieses Projekts unerlässlich. Ob Twitter allerdings tatsächlich einen so hohen Stellenwert hat, dass der Anspruch an eine nahezu vollständige Archivierung gestellt werden müsste, kann nur die zukünftige Nutzung des Twitter-Archivs zeigen. Der Zugang wird, insbesondere aufgrund von rechtlichen Einschränkungen, auf die Einsicht im Lesesaal der Deutschen Nationalbibliothek beschränkt und ist nur an bestimmten Rechnern möglich. Bestrebungen zur Archivierung von einzelnen Accounts gibt es immer wieder, beispielsweise von Politiker:innen oder allgemein Personen des öffentlichen Lebens. Der Ansatz einer möglichst umfangreichen Archivierung ist allerdings neu und resultiert, wie oben erwähnt, aus den Umstrukturierungen bei Twitter. Weil Twitter, wie andere soziale Medien auch, eine interaktive Anwendung ist, stellt dies jedoch auch andere Ansprüche an die Archivierung als beispielsweise klassische Webauftritte. (Vgl. Worm) Die Herausforderungen der digitalen Archivierung sind insgesamt hoch. Um den Zugang auch für zukünftige Generationen zu gewährleisten, werden digitale Dokumente in der Regel mehrfach und an verschiedenen Orten gespeichert. Dies erfordert neben Fachpersonal archivtaugliche Systeme, zum Teil sehr hohe Speicherkapazitäten und dementsprechend geeignete Serverräume. Damit verbunden sind enorme finanzielle Aufwendungen. Nationalbibliotheken und Bundesarchive können dies leisten und es ist gut und richtig, dass die Archivierung digitaler Inhalte angegangen wird. Das Beispiel der Twitter-Archivierung zeigt allerdings, dass diese Entwicklungen noch ganz am Anfang stehen, insbesondere, weil erkennbar wird, wie fragil digitale Inhalte sein können und wie anfällig für ökonomische Veränderungen. Auch Speichermedien und die Kapazitäten eines Archivs spielen eine wichtige Rolle. Analoge Dokumente können zum Teil Jahrhunderte überleben ohne einen grösseren Schaden davonzutragen. Digitale Dokumente können damit (noch?) nicht unbedingt mithalten.
Sicherlich bringt die Archivierung von analogem Material eigene Herausforderungen mit sich, aber wir müssen uns auch fragen, ob wir in Zukunft ausschliesslich auf digitale Inhalte setzen wollen und wie insgesamt Sammlungen entstehen. Das bringt weitere Fragen mit sich, die ich mir an dieser Stelle aber spare, weil es vom Thema abweicht.
Dass die Deutsche Nationalbibliothek prompt auf die Entwicklungen bei Twitter reagiert und dieses Projekt ins Leben gerufen hat, ist äusserst beachtenswert. Es bleibt abzuwarten, wie erfolgreich das Projekt verläuft und wie nutzbar die Daten am Ende sein werden. Ich halte es für einen durchaus lohnenswerten Versuch, auch um Perspektiven für die digitale Langzeitarchivierung aufzeigen zu können.
Text: © Anne Bendel, März 2023
Literatur:
Woldering, Britta. Tweets für die Ewigkeit – Die Nationalbibliothek will Twitter archivieren. Deutschlandfunk Kultur, 23.02.2023.
Worm, Peter. Ein neuer Ansatz für die Langzeitarchivierung von Twitter-Accounts. Hypotheses, 9. März 2021. Online unter https://archive20.hypotheses.org/10031, zuletzt abgerufen am 04.03.2023.
Deutsche Nationalbibliothek. Online unter https://www.dnb.de/twitterarchiv (letzte Änderung 20.02.2023), zuletzt abgerufen am 04.03.2023.
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